Vorweg: Ich habe auch keine Antworten, aber nach meinen Tweets zur Spackeria und den darauf erfolgenden Reaktionen, insbesondere von http://twitter.com/laprintemps, http://twitter.com/tante und http://twitter.com/korbinian sehe ich mich aufgefordert, hier mein Unbehagen mit der Spackeria darzulegen. http://twitter.com/caevye hat mich außerdem darum gebeten, also erfülle ich ihr den Wunsch!
Vorweg 2: Jan Dörrenhaus hat es im Prinzip schon sehr schön beschrieben, und auch http://twitter.com/senficon sagte es sehr schön.
Daher, und weil ich es auch auf Twitter angekündigt habe, hier nun meine Meinung zur Sache:
Die Spackeria scheint den Anspruch zu erheben, sich zu einer Problematik zu äußern und sie ins aktuelle Bewußtsein zu rücken, von der sie glaubt, daß sie nicht aktueller sein könnte. Das ist mein erster Kritikpunkt. Denn: Zumindest seit Scott McNealy‘s Äußerung von 1999: “You have zero privacy anyway, get over it!” ist das Thema ein Thema! Und, wer noch weiter zurückgehen möchte, findet, zwar nicht unbedingt auf das deutsche Datenschutzgesetz gemünzte Äußerungen, so aber doch Überlegungen zu den Auswirkungen des Computers, des Internets oder des “globalen Dorfes” schon bei Joseph Weizenbaum seit den späten 1960’ern, bei Marvin Minsky oder dem Begründer des Begriff des “globalen Dorfes”, Marschall McLuhan.
Konkret lautet also mein Kritikpunkt 1:
Wer eine Welle machen will, sollte sich zumindest auf die berufen oder beziehen, die schon Jahrzehnte vorher sich zu dem Thema geäußert haben.
Kommen wir zum zweiten Punkt: Wenn man die Webseite der Spackeria öffnet, so liest man dort:
Die datenschutzkritische Spackeria
Vereinigung der post-privacy Spackessen und Spackos.
Hier werden sofort zwei Dinge zusammengewürfelt, die im ersten Schritt erstmal per se nichts miteinander zu tun haben: Datenschutz und post-privacy. Und das setzte sich anfänglich in der Argumentation der Spackeria fort. Im Spiegel-Online Interview mit Julia Schramm sagt sie sehr exponiert und sehr früh: “Privatsphäre ist sowas von Eighties.” meint eigentlich aber, daß aufgrund der technischen Entwicklung, und der damit verbundenen “Übergabe” von Daten und damit auch von “Verantwortung” an technische Systeme (Weizenbaum, ick hör Dir trapsen!) heute keine Sicherheit der Daten mehr gewährleistet werden kann (siehe auch Scott McNealy). Hätte sie das etwas anders formuliert, nämlich in Bezug auf die technische Unmöglichkeit des Schutzes von Daten, und nicht als Absage an die Privatspäre, so wäre der ihr entgegengeschlagene Shitstorm sicherlich kleiner und einfacher konterbar gewesen. An anderer Stelle betont Julia aber, daß sie Wert auf Privatsphäre legt, und zwar in der Art, daß sie sich dann einfach der Online-Welt entzieht (Diskussion ab ca. 30:00, genauer Minute 35:39 des unten erwähnten Interviews). Andererseits wird von Julia der Schutz der Privatsphäre negiert (im SpOn Interview), und zwar mit den Worten: “Es mag dann zwar immer noch Platz für Privatspähre geben, im Sinne der Trennung Hannah Arendts von öffentlichem und privatem Raum. Aber sie wird nicht mehr als Schutz notwendig.” (Typos courtesy of SpOn!). Gut, sie sagt, daß die Privatsphäre nicht mehr als Schutz vor dem Öffentlichen benötigt wird (sozusagen als Flucht aus dem Öffentlichen), das wiederum hat dann aber logisch zur Folge, daß, wenn das Private nicht mehr als Schutz vor dem Öffentlichen dient, daß dann auch das Private öffentlich wird, weil es ja nicht mehr als Schutz dient, damit dann auch automatisch nicht mehr schutzbedürftig ist, und somit jeglichem externen Zugriff geöffnet, also öffentlich wird.
Hier erscheint mir also eine Unklarheit und sogar Vermischung der Begriffe vorzuliegen, was die Diskussion erschwert.
Konkret lautet also mein Kritikpunkt 2:
Unsauberer Umgang mit den Begriffen Datenschutz, Privatsphäre und post-privacy.
Die eigentliche Intention der Spackeria erscheint mir zu sein, den Begriff des Datenschutzes und des damit verbundenen Datenschutzgesetzes neu zu definieren. Hier stimme ich vollkommen zu. Die aktuelle Definition des Gesetzes ist überholungsbedürftig! Mit Formulierungen wie: “Aber das heißt noch lange nicht, dass Datenschutzgesetzte aus der analogen Zeit das Internet einschränken müssen.” und “SPIEGEL ONLINE: Der Staat soll sich aus der Regulierung des Internets weitgehend raushalten? Schramm: Ja!” fordert sie ja indirekt die pauschale Abschaffung des Datenschutzgesetzes. Das wiederum kann nicht die Grundlage der Diskussion sein, denn es wird so garantiert nicht zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens führen können. Denn viele aus der Spackeria oder ihrer Gefolgschaft scheinen Julia so interpretiert zu haben, daß das Datenschutzgesetz, weil technisch nicht mehr umsetzbar, abgeschafft gehört.
Konkret lautet also mein Kritikpunkt 3:
Nicht sofort die Abschaffung von technisch nicht mehr haltbaren Gesetzen fordern, sondern die Reform der Gesetze fordern.
Nun kam in den letzten Tagen noch ein gemeinsames Interview von Konstantin von Notz (u.A. Sprecher für Netzpolitik der Bundestagsfraktion der Grünen), sowie Julia Schramm, hier für die Spackeria, durchgeführt von Benjamin Stöcker auf politology.de hinzu. In meinen Tweets habe ich laprintemps vorgeworfen, sich aus schwierigen Fragen in für sie typischer Art und Weise rauszuwinden. Ein solches Beispiel habe ich oben schon angeführt (Minuten 30-36), ein für mich weiteres “typisches” Beispiel findet sich im Abschnitt Minute 9-14: Konstantin erwähnt das Problem, daß mit der VDS der Staat Privatunternehmen auferlegen will, Daten für den Staat zu sammeln, aber andererseits die Spackeria das Datenschutzgesetz in seiner jetzigen Form ablehnt, weil damit die Freiheit im Internet gefährdet sei, und das Datenschutzgesetz zur Regulierung dessen, was im Internet passieren kann und darf negativ ausgenutzt werden kann oder soll (Data must flow). Julia stimmt zu, und beantwortet das Problem mit der Forderung nach mehr Möglichkeiten zum anonymen Surfen, äußert sich damit also nicht zur Problematik (das Dentschutzgesetz könnte ein direkter Gegenpol zur VDS sein, und damit sogar als Grundpfeiler einer Initiative gegen die VDS genutzt werden) direkt, sondern sucht einen Weg drumrum. OK, hier mag ich spitzfindig erscheinen, aber Konstantin sagt es anfänglich sehr schön: Das Datenschutzgesetz ist als Gesetz zum Schutz der Verbraucher gedacht, und nicht als staatliches Instrumentarium zur Verweigerung des Zugriffs von Bürgern auf ihre eigenen Daten (was auch immer die sein mögen).
Zu guter Letzt, anschliessend an den direkt hier drüber stehenden Gedanken:
Mir erscheint es so, daß viele derjenigen, die für die Spackeria bloggen, twittern oder sprechen, zwei Dinge verwechseln bzw. gleichsetzen: Datenschützer und das Datenschutzgesetz. Ihr Feindbild sind primär die aus ihrer Sicht “sogenannten Datenschützer”, in der Form der Vertreter und Verfechter des Jugendmedienstaatsvertrags, der Netzsperren oder der Vorratsdatenspeicherung. Ein schönes Beispiel dafür findet sich in der folgenden Formulierung in einem Beitrag von tante auf dem Spackeria Blog: “In der Hinsicht ist die Spackeria für mich zu tiefst aufklärerisch im kant’schen Sinne: ‘Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit’ Unsere Unmündigkeit bleibt so lange bestehen, wie wir Datenschutz nicht mehr kritisch reflektieren und die Probleme mit der Ideologie benennen, Datenschutz zum Dogma erhöhen und die Kritiker der Ideologie diffamieren.” Mit diesem Beitrag packt tante alle, die nicht in der Spackeria sind oder ihren Zielen folgen, zu Dogmatikern des Datenschutes in die Schublade, die er sich selbst von denjenigen gemacht hat, die nicht die Ziele der Spackeria unterstützen. Ähnliches kommt ein paar Beiträge weiter unten dann auch von fasel. Schade dabei ist, daß auf diese Weise eben die Diskussion mit der Spackeria erschwert wird, weil sie eben alle diejenigen ausschließt, die auch nur in Ansätzen eine etwas andere Position vertreten. Dabei haben die von der Spackeria als sog. Datenschützer bezeichneten Leute aber in der Regel nichts mit dem Datenschutzgesetz zu tun, und auch nur selten etwas mit den echten Datenschützern. Wenn diese Pauschalisierung des Feindbildes abgelegt werden würde, wäre eine Diskussion mit der Spackeria sehr viel einfacher, und könnte sicherlich dem gemeinsamen Ziel der Reform und damit der Anpassung des Datenschutzgesetzes auf aktuelle Gegebenheiten und Notwendigkeiten dienen.
Matthias